Seit dem Sommer schützt Deutschland endlich Menschen vor Schikanen, die Missstände in Unternehmen oder Behörden melden. Damit hatte die Ampelkoalition mit reichlicher Verspätung die EU-Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern aus dem Jahr 2019 umgesetzt.
Doch offenbar nicht gut genug, meint das Whistleblower-Netzwerk (WBN). Die Nichtregierungsorganisation hat nun eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht. Insgesamt gebe es zwölf Mängel in der deutschen Variante des Gesetzes, kritisiert das WBN. Hinauslaufen könnte das auf ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren – schon jetzt läuft eine Klage der EU-Kommission gegen Deutschland, weil es mit der Umsetzung so lange gedauert hatte.
Kaum Hilfe für Mobbingopfer
Dabei war die Beschwerde zumindest teilweise absehbar. Das Hinweisgeberschutzgesetz enthält etwa keinen Anspruch auf den Ersatz immaterieller Schäden. Gemeint sind damit Nachteile, die Whistleblower:innen durch Mobbing oder sonstige Drangsalierung am Arbeitsplatz erleiden können. Diese EU-Vorgabe fiel dem Kompromiss zwischen Bundestag und Bundesrat zum Opfer. Der war notwendig geworden, weil den Unions-geführten Ländern der Entwurf der Ampelkoalition zu weit ging. Sie hatten das Gesetz in der Länderkammer blockiert. Bereits damals hatte das WBS darauf hingewiesen, dass die Regelungslücke nicht mit der EU-Richtlinie vereinbar ist.
Ebenfalls in der Kritik steht die Formulierung im deutschen Gesetz, die Hinweisgebende zunächst zu internen Meldestellen im Unternehmen leiten soll. Dabei sollen externe Meldestellen, wie sie etwa das Bundesamt für Justiz inzwischen betreibt, internen gleichgestellt sein. Dieser Satz sei eine „reine Unverschämtheit“, sagt WBN-Vorsitzende Annegret Falter zu netzpolitik.org. Er widerspreche „vollkommen dem eindeutigen Willen des EU-Gesetzgebers, den Hinweisgebenden die volle Wahlfreiheit zu geben.“
EU-weite Mindeststandards
Schon bei den Verhandlungen auf EU-Ebene gab es um diese Regelung heftigen Streit. Damals drängten die EU-Länder, darunter Deutschland, auf die Bevorzugung interner Meldestellen – bevor Whistleblower:innen Informationen über Missstände an Behörden oder gar Medien weitergeben. Damit durchsetzen konnte sich der EU-Ministerrat aber letztlich nicht.
Mit der EU-Richtlinie reagierte die Kommission auf eine Reihe aufsehenerregender Fälle wie die Panama-Papers oder Luxleaks. Gemeinsam mit den Enthüllungen kam dabei zum Vorschein, dass es keinen EU-weiten Schutz von Whistleblower:innen gab. Auch Deutschland zählte zu den Ländern, in denen Hinweisgebende immer wieder Repressalien ausgesetzt waren, wenn sie Verfehlungen ans Licht bringen wollten.
Novelle könnte Vertragsverletzungsverfahren verhindern
Unklar bleibt, wie die EU-Kommission auf die Beschwerde reagieren wird. Die deutsche Politik könnte einem etwaigen Vertragsverletzungsverfahren zuvorkommen, indem sie das Gesetz anpasst. Dies hatten die Ampelparteien bereits in Aussicht gestellt, wenn auch nicht in allen nun kritisierten Punkten. Nachbesserungsbedarf gibt es unter anderem bei der Meldung gravierender Missstände unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße, wie es die Regierung im Koalitionsvertrag versprochen hatte.
Dennoch sieht es derzeit nicht danach aus, dass das Gesetzespaket unmittelbar aufgeschnürt wird. Zwar greife die Beschwerde die Richtung auf, die sich der Bundestag gewünscht hatte, etwa die Aufnahme von immateriellem Schadensersatz, so der Grünen-Abgeordnete Till Steffen zu netzpolitik.org. Nach den langwierigen und harten Verhandlungen mit dem Bundesrat „halte ich es aber für sehr unwahrscheinlich, dass das Gesetz in dieser Legislaturperiode noch einmal angefasst wird“, sagt Steffen. Das könnte sich ändern, sollte es zu einem Vertragsverletzungsverfahren kommen.
In jedem Fall müssten wohl auch die Unionsparteien im Bundesrat mitspielen, da das Gesetz zustimmungspflichtig ist. Dies dürfte sich jedoch schwierig gestalten: Schließlich waren es vor allem konservative Politiker:innen in der damaligen großen Koalition, welche die rechtzeitige Umsetzung der EU-Richtlinie in der vergangenen Legislaturperiode verhindert hatten. Gemeinsam mit Arbeitgeberverbänden setzten sie sich dafür ein, die Belastungen für die Wirtschaft möglichst klein zu halten.
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